Glatz-Familiengeschichtliche Forschung e.V.


Katharina Glatz wurde am 1. Dezember 1924 in Großpold, einer Ortschaft in Siebenbürgen
geboren. 1991 verließ sie Rumänien und zog mit ihrem Mann zur Tochter und deren Familie
nach Großsachsen, einem badischen Dorf an der Bergstrasse.


"Manchmal träume ich von meiner Kindheit, auch von Schwerem; wie wir in der Hitze des Sommers
arbeiten mußten. Wenn mein kleiner Bruder und ich Mais angebaut hatten auf den Feldern, gingen wir
anderentags an den Rändern Bohnen säen. Die Erde zu eisenharten Schollen getrocknet und und schneidet
uns die nackten Füße. Ich weiß mir nicht anders zu helfen, als die Schürze um den einen, das Kopftuch
um den anderen Fuß zu wickeln.Wir hacken Löcher in die Erde und stecken Bohnen hinein. Meine
Mutter schimpft, weil die teuren Stoffe nach dem Aussäen zerschlissen sind.

Wir haben immer Tracht getragen, zu jedem Anlass, für jede Jahreszeit eine. In der Schule haben wir
gelernt zu spinnen, Stoffe zu weben, die Trachten zu nähen und zu besticken. " Frau Glatz öffnet
einen Schrank und zeigt mit ihre Schätze: Nähproben ihrer Mutter, die sie als Kind in der Schule
angefertigt hatte, ihre eigenen und die ihrer Tochter. Ein kompliziertes Kunsthandwerk.
"Es gab keine individuelle Kleidung?" frage ich." Nein, die gab es nicht.
Unser Dorf hatte Regeln. " Sie lacht amüsiert.

Wir setzen uns an den großen Holztisch; Frau Glatz mit aufrechter Haltung, ihre Ausstrahlung
erinnert an Quellwasser. Mit den Händen streicht sie über die bunt bedruckte Plastikdecke,
als gäbe es faltige Stellen zu glätten.

"Unsere Vorfahren waren vor 800 Jahren hierher gekommen. Großpold war ein Dorf mit 1.500 Seelen.
Heute leben dort noch 45 alte Deutsche. Unsere Leute waren fleißig und wohlhabend, sie hatten Höfe
mit großen Toren, Weinberge,Weizenfelder, Mais und Tiere. Das Dorfleben fand im deutschenGemeindehaus
statt, wir hatten unsere Kirche und eine Schule. Die Rumänen siedelten sich am Ende des Dorfes an.
Jede Straße bildete eine Nachbarschaft. 18 Nachbarschaften gab es im Ort und die haben fest
zusammengehalten. "Frau Glatz senkt ihre Stimme." Wenn einer mit einem anderen Nachbarn Streit
hatte und nicht bereit war sich zu versöhnen, wurde er ausgewiesen aus der Nachbarschaft.
Ausgeschlossen wurde auch, wer sich mit einer rumänischen Person verheiratete. Natürlich haben
wir uns mit den Rumänen gegrüßt, wir haben miteinander gesprochen und zusammengearbeitet,
aber sonst blieben wir unter uns. Die Regel waren streng, weil wir als Deutsche nicht untergehen
wollten."

Der Nationalsozialismus erreichte auch die Deutschen in Siebenbürgen. Männer wurden in
in SS- Wehrmachtsverbände eingegliedert. Die Rumänen kapilulierten am 23. August 1944
vor der anrückenden sowjetischen Armee und erklärten Deutschgland den Krieg. Im Januar
1945 gab es im Leben der 20-jährigen Katharina Glatz den ersten großen Riss:
"Ich übernachtete wie schon oft bei einer Rumänin, der ich geradezu freundschaftlich verbunden war.
Ich liebte ihre zwei kleinen Kinder. Ihr Mann war im Krieg bereits gefallen. Mein Vater hatte der Familie
einen Laden verpachtet. Wir schliefen mit den Kindern im Ehebett, am frühen Morgen klopfte es laut
ans Tor. Es war noch dunkel. Die Rumänin sagte: Steh auf! Sie holen dich. "Frau Glatz schaut mich mit
der Fassungslosigkeit von damals an. " Ich lag mit ihr in einem Bett! Sie wußte wie alle Rumänen
im Dorf, was wir nicht wussten, und hat mich gewarnt.

Die Russen trieben uns Deutsche im arbeitsfähigen Alter zusammen. In Viehwaggons wurden wir
in die Ukraine nach Kiwoi-Rog deportiert, als Arbeitskräfte für den Wiederaufbau des Landes.
Nach einem Jahr durfte ich meiner Mutter eine Postkarte mit zwei vorgegebenen Sätzen schicken,
immerhin ein Lebenszeichen. "Ich bin gesund, mir geht es gut"

Im Lager gab es einen Wasserhahn im Freien für alle. Wir bekamen klare Suppe mit Kraut- und
Gurkenstückchen. Wir arbeiteten wir auf dem Bau, die Frauen schleppten Mörtel, befreiten die
Bahngleise von Schnee und Eis und trugen schwere Steine. Unsere Leute starben wie die Fliegen
an Hunger und Kälte. Wir waren nicht mehr menschenähnlich. Nachts lag ich in meinem Stockbett
- wir waren 500 Leute in einer Baracke - und hörte Körper auf den Boden fallen.
Wenn eine sagte: Du, die ist gestorben, war ich schon so gleichgültig, dass ich mich nicht einmal
mehr erhob, um zu sehen, wer es war. Ich dachte nur, warum bin ich es nicht?
Man hat nichts mehr gedacht, an keine Mutter, an nichts mehr, und zugleich hielt man an
Gerüchten fest: Bald dürfen wir nach Hause. Diese Gerüchte erneuern sich von Monat zu Monat.

Nach zwei Jahren stellten die Russen einen Tansport mit Leuten zusammen, die krank waren und
nichts mehr arbeiten konnten, dazu gehörte ich. Wir dachten, jetzt ginge es nach Hause.

Ich kann gar nicht beschreiben. wir groß die Enttäuschung war, als wir in Frankfurt/Oder ankamen.
Was haben wir geweint! Zwei Wochen mußten wir in ein Lager, wo sie uns entlausten.
Ich erfuhr, dass mein Bruder und mein Vater zwei Wochen nach mir in die Ukraine gebracht
wurden. Mein Vater hat das Arbeitslager nicht überlebt.

Wir suchten Arbeit, aber wir hatten nichts gelernt, wir waren ja Bauern. Ich fand schließlich
einen Großbauern, der mich aufnahm. Aus erbarmen. Die Chefin und ein Flüchtlingmädel aus
dem Sudetenland haben 26 Kühe gemolken, in der selben Zeit schaffte ich zwei!
Aber sie waren gut zu mir und sagten: "Kati, das ist die Schwäche".

Auch dort war die Kost schwach, es gab Kartoffelstückchen und Mohrrüben,
die Großbauern sind ja enteignet worden und mussten das meiste abgeben.
Vielleicht war das sogar gut so, denn sonst hätten wir uns tot gegessen.
Abends nach der Arbeit bin ich zu meiner Kusine gegangen, die bei einem Bauern
Kartoffeln für die Schweine kochen mußte und jeden Abend heimlich einen Eimer
Kartoffeln in ihr Zimmer brachte. Wir haben uns auf den Teppich gesetzt und den
Eimer leer gegessen.

Es hat lange gedauert" -Frau Glatz verfällt in einen Singsang wie eine Mutter, die ihr Kind
beruhigen möchte." Es hat lang gedauert, dass man normal wurde. Aber die Zeit ist normal
geworden, man hatte sich satt gegessen und konnte wieder in der Reihe mit anderen arbeiten.

1949 kamen rumänische Soldaten nach Löbau -ich werde es nie vergessen - wer nach Hause wollte,
konnte sich melden. Nach Hause! Wir hatten keine Ahnung und dachten, es sei so wie früher.
Aber wir hatten nichts mehr. Die Weinberge, der Boden, dieTiere hatte man uns genommen.
Wenn wir in der Staatsfarm arbeiten gegangen sind, wurden wir Tagelöhner auf altem, vertrautem
Boden. Es gab fast keine Männer mehr in unserem Alter, ich verliebte mich in einen, der acht Jahre
jünger ist. "Frau Glatz lächelt. "Ich wollte nie wieder fort.

Fürs Essen hat es in Rumänien gereicht. Aber als meine Tochter krank wurde - sie lebte mit ihrer
Familie schon in Großsachsen - sagte ich zu meinem Mann: Jetzt müssen wir, sie braucht uns.
1991 kamnen wir zunächst mit einem Besuchervisum und zwei Koffern."

Wie ist das Leben hier? Die Augen von Frau Glatz strahlen, sie lacht. "Gut!
Es kommt darauf an, wie man selbst ist. Ich habe meine Enkelkinder jeden Tag in den Kindergarten
gebracht. AUf dem Dorf grüßt man die Leute, also habe ich gegrüßt. Beim ersten Mal kam
ein freudlicher Blick. Und dann haben sie sich bedankt, um mich beim vierten Anlauf zu grüßen.
"Frau Glatz klatscht in die Hände." Hätte ich nichts gesagt, wäre ich immer fremd geblieben, nicht?"